Der Duden definiert einen «Shitstorm» als Empörungswelle, während die Forschung von einem sogenannten Firestorm spricht. Doch ob Sturm oder Welle in jedem Fall ist ein «Dagegenstemmen» unsinnig.
Shitstorms sind an sich kein neues Phänomen. Üble Nachrede bis hin zu Revolutionen sind überall dort zu finden, wo Menschen aufeinandertreffen. Durch Social Media wurde jedoch Reichweite und Geschwindigkeit exponentiell vergrössert. Mit all den Vorteilen, die das Internet gebracht hat, kommen auch die Nachteile. Feedback folgt nun öffentlich, ungefiltert und für die ganze Welt in Echtzeit einsehbar.
Niemand ist gegen einen Shitstorm gefeit. Fehler werden gemacht, alte Abläufe und Traditionen nicht permanent hinterfragt. Und selbst dann, wenn Menschen und Unternehmen mit bester Absicht kommunizieren, wird immer jemand etwas finden, was den Werten dieser Person oder einer Gruppe Personen widerspricht.
Wertevorstellungen sind in den seltensten Fällen universal, der Aufbau hinter einem Shitstorm hingegen schon. Wir konzentrieren uns in diesem Beitrag somit auf die klassischen Elemente eines Shitstorms und wie man mit diesen umgeht. In keiner Weise werten wir die in den Beispielen genannten Themen, Firmen oder Personen, die einen Shitstorm auslösen oder mittragen.
Die bekanntesten Reaktionen von Unternehmen auf Shitstorms
- und was wir daraus lernen können
Insgesamt gibt es vier verschiedene Arten, wie Unternehmen auf einen Shitstorm reagieren können (aber nicht unbedingt sollten).
Ignorieren
Gar nicht erst auf die Kommentare eingehen oder diese löschen
Beispiel: Die Mutter alles Shitstorms: Dell Hell, 2005
Den ersten grossen Shitstorm der Netzgeschichte löste der US-amerikanische Blogger und Journalismus-Dozent Jeff Jarvis im Jahr 2005 aus. Frustriert über die Produkte und den Kundenservice des Computerherstellers DELL, veröffentlichte Jarvis auf seinem Blog eine Reihe von Posts, in denen er seinem Ärger öffentlich Luft machte. Immer mehr Internetnutzer*innen solidarisierten sich mit dem Blogger, der im Netz über eine beachtliche Reichweite verfügt, und steuerten in Kommentare eigene Erfahrungen mit dem Computerhersteller bei. DELL sah sich in kürzester Zeit mit einer Empörungswelle in bis dato unbekanntem Ausmass konfrontiert. Die Absätze rutschten in den Keller. Zahlreiche Medien berichteten über den Vorfall, der als DELL Hell in die Netzgeschichte einging.
Risiko: Die Kund*innen fühlen sich nicht ernst genommen, was zu noch lauteren und heftigeren Protesten führen kann (bis man eben eine Reaktion bekommt). Es entsteht ein erheblicher Imageschaden.
Zustimmen
Ja wir haben hier etwas falsch gemacht/ übersehen und werden es korrigieren
Beispiel: Migros und die Dubler Mohrenköpfe, 2020
2020 geriet die Firma Dubler erneut in die Diskussion, als der Grossverteiler Migros, nach dem Todesfall George Floyd in den USA, die «Dubler Mohrenköpfe» aus dem Sortiment nahm.
Die Reaktionen auf diesen Entscheid fielen sehr unterschiedlich und laut aus. Alle grossen Schweizer Medien nahmen den Vorfall auf und berichteten über Wochen aus verschiedenen Blickwinkeln darüber.
Risiko: Ein Shitstorm, der Leute, die es nicht als falsch empfunden oder gesehen hatten und nun finden das Unternehmen sei nicht standhaft, feige oder beuge sich dem «Mainstream».
Ein zweites Risiko besteht darin, dass sich die Kritiker*innen (Initianten des Shitstorms) bestätigt fühlen und immer wieder, immer unscheinbarere Details angreifen.
Dazu kommt, dass man die kritisierten Themen unbedingt ganzheitlich ansehen muss, sonst läuft man Gefahr, dass der Shitstorm ein paar Tage später an neuer Stelle aufflammt. (In diesem Fall das gesamte Sortiment auf diskriminierende Namensgebung oder Abbildungen überprüfen (wann ist ein Name diskriminierend und wann nicht) und entsprechende Guidelines erarbeiten (wie gehen wir damit um, wenn wir solche Produkte identifizieren)
We don’t care
Mag sein, dass es manche von euch stört, aber wir bleiben bei unserer Meinung oder unserem Verhalten
Beispiel: True Fruits und der Quotenschwarze, 2019
Die Firma True Fruits stellt Smoothies her – und vermarktet diese oft mit provokativer Werbung. 2019 sorgte das Unternehmen mit einer schwarzen Flasche (Names White) für Furore. Die Werbebotschaften dazu lauteten: «Unser Quotenschwarzer», «Schafft es nur selten über die Grenze» oder «Noch mehr Flaschen aus dem Ausland».Daraufhin entstand im Netz ein Shitstorm. Tausende User beschwerten sich über Rassismus. True Fruits reagierte mit einer Instagram-Story, in der der Schauspieler und Musiker Jamie Fox „Fuck You“ singt. Nach heftigsten Shitstorms nahm Ture Fruits die Flasche aus dem Sortiment. Der Grund: „Er ist das schwarze bzw. weiße (?) Schaf der Familie. Seinetwegen haben wir uns oft schwarz ääähh weiß geärgert. Und auch jetzt wirft man uns wieder Rassismus vor“.
Risiko: Das Unternehmen verpasst den «richtigen» Moment, um seine Position zu überdenken und verliert so über die Zeit einen Grossteil seiner Kundschaft. Anforderungen und Werte sind im ständigen Wandel und die Unterscheidung zwischen einem kurzlebigen Phänomen und einem generellen Richtungswechsel in der Gesellschaft kann sehr anspruchsvoll sein. Was vor ein paar Jahren noch kein Thema war (oder gerne auch Witze darüber gemacht werden durften), wird nun plötzlich als fixes Kriterium bei einem Kaufentscheid gesehen. Schätz man als Unternehmen die Situation falsch ein, kann es sein, dass man von Mitbewerbern oder gar neuen Unternehmen (die diesen Richtungswechsel rechtzeitig erkannt haben) überholt wird.
Dagegen ankämpfen
Mit sachlichen Kommentaren die Kritik entkräftigen
Beispiel: Apples #Bendgate, 2014
Kurz nach der Veröffentlichung des iPhone 6 tauchten erste Fotos und Videos von stark verbogenen Exemplaren des iPhone 6 Plus auf.
Die Gerüchte um das Verbiegen des neuen iPhone 6 sorgten für heftige Troll-Attacken. Apple stellte sich. Sie räumten ein Problem ein, das lediglich neun Kund*innen in den ersten 60 Tagen der Markteinführung des neuen iPhones betraf, sodass der „Skandal“ reichlich übertrieben wirkte. Statt zu leugnen, akzeptierte das Unternehmen das Problem und nannte es beim Namen. Die Kontroverse löste sich schnell in Luft auf.
Risiko: Bei den Kritiker*innen handelt es sich um sogenannte Trolls. Diese sind nicht an einer tatsächlichen Lösung interessiert, sondern sehen ihre Aufgabe darin, Personen oder Unternehmen öffentlich zu beleidigen (losgelöst von irgendwelchen Tatsachen). In diesem Fall feuern die Antworten des Unternehmens die Tolls zusätzlich an.
Was wir daraus lernen können
Der Umgang mit Shitstorms ist wie der mit Kleinkindern: Wir können uns auf einige Massnahmen einigen, die definitiv falsch sind (Gegengewalt, Hass, Beleidigungen), aber nicht auf die, die immer richtig sind.
Um einen Shitstorm richtig einordnen und darauf basierend Massnahmen definieren zu können, müssen verschiedene Faktoren berücksichtigt werden: Ist die Kritik berechtigt oder Ansichtssache, wie hat sich das Unternehmen in der Vergangenheit positioniert, und macht es Sinn an dieser Position festzuhalten. Was gewinnt oder verliert man mit welcher Reaktion?
Am Ende braucht es eine selbstkritische Unternehmensleitung, eine klare Kommunikation – intern sowie extern – und das nötige Fingerspitzengefühl.
Quellen:
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